Die Energiekarawane: Wie Kommunen effektiver Klimaschutz im privaten Gebäudebestand gelingt.

Kommunen erreichen durch die Energiekarawane Menschen und Motivieren zur Umsetzung energetischer Sanierungsmaßnahmen und zum Energiesparen

„Ausgangspunkt für eine nachhaltige Renovierung ist stets eine individuelle Entscheidung, bei der der erwartete Nutzen und die erwarteten Kosten gegeneinander abgewogen werden“ (EU Renovation Wave 10.2020). Somit ist eine breit angelegte und qualifizierte Informationsvermittlung für Bürger*innen der Schlüssel. Hier können nur Städte und Gemeinden helfen, die aufgrund des unmittelbaren Kontakts zu ihren Bürger*innen die entscheidenden Akteure sind. Auf der kommunalen Ebene ist für Informationsvermittlung bezogen auf den privaten Gebäudebereich die nötige Akzeptanz und Legitimation bei Hausbesitzer*innen und Mieter*innen gegeben. Die Erfahrungen mit konkreter Kampagnenarbeit in diesem Bereich gehen zurück auf das Jahr 2009. Damals wurde in der südhessischen Stadt Viernheim durch den kommunalen Klimaschutzbeauftragten Philipp Granzow die Energiekarawane entwickelt und erstmals angewandt. Hierbei handelt es sich um eine Aufsuchende Energieberatungskampagne im eigentlichen Wortsinn: In einem ausgewählten Quartier mit unsaniertem Gebäudebestand nehmen von der Kommune beauftragte zertifizierte Energieberater*innen nach vorheriger Ankündigung durch die kommunale Spitze aktiv Kontakt mit den Hausbesitzer*innen auf und bieten eine kostenfreie Initialberatung direkt am Objekt an. Das Ziel ist, auf Grundlage einer qualifizierten und individuellen Beratungsleistung Bürger*innen zur Umsetzung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an ihren Gebäuden gemäß ihrer Möglichkeiten zu motivieren. Das Projekt war in Viernheim derart erfolgreich, dass es in insgesamt acht Quartieren durchgeführt wurde. In der Folgezeit wurde die Energiekarawane in der Metropolregion Rhein-Neckar zunächst mit Fördermitteln der Länder und ab 2012 mit Bundesfördermitteln zur bundesweiten Anwendung für Kommunen jeder Größe erfolgreich weiterentwickelt.


INFOBOX

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Der Handlungsbedarf im Klimaschutz ist groß! Die jüngste Prognose der Weltwetterorganisation (WMO 05.2022) unterstreicht das deutlich: Mit fast 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit übersteigt bis 2026 die globale Durchschnittstemperatur erstmals die kritische Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung. Die wichtigsten Handlungsfelder, um den Treibhausgasausstoß zu begrenzen sind längst ausgemacht. Speziell das Handeln bezogen auf den Gebäudebestand ist besonders dringlich. Für die globale Ebene nimmt jüngst der Sachstandsbericht des IPCC (04.2022) hierauf explizit Bezug. Die EU-Ebene betreffend wurden folgende Angaben gemacht: 40 % des Gesamtenergieverbrauchs und 36 % der THG-Emissionen gehen auf den Gebäudebestand zurück, wovon wiederum 85 % vor dem Jahr 2001 entstanden sind. Zum Oberbegriff für eine Initiative wurde hier die „Renovation Wave“ der Europäischen Kommission als Teil des Green Deal (10.2020). Das Ziel ist eine Verdopplung der jährlichen energetischen Sanierungsquote mit den Kernelementen Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energien. Um diese zu erreichen, wird eine qualifizierte Informationsvermittlung für Endnutzer*innen also Mieter*innen und Gebäudeeigentümer*innen an erster Stelle genannt. Für die BRD ist eine Verdopplung der Sanierungsquote seit geraumer Zeit eine Zielvorgabe. Jedoch zeigt sich, dass der Gebäudebestand im zweiten Jahr in Folge den nationalen Vorgaben gemäß Klimaschutzgesetz nicht entspricht (UBA 03.2022). Im Sektor Gebäude sind wiederum 3/4 der direkten THG-Emissionen dem privaten Gebäudebestand zuzuordnen. Grundsätzlich muss eine Stagnation der energetischen Sanierungsquote (nach wie vor maximal 1%) festgestellt werden. Beispielsweise lag der Treibhausgasausstoß in diesem Bereich im Jahr 2014 unter dem des Jahres 2021. Vor dem Hintergrund der aktuellen massiven Energiepreissteigerungen hat für die Bundesebene der Koalitionsausschuss im März ein Maßnahmenpaket formuliert. Prominent wird darin eine geplante Kampagne der Bundesregierung angeführt, die bei Bürger*innen für Energiesparen werben soll – auch mit dem Ziel der Beförderung von niedriginvestiven Maßnahmen im Gebäudebereich. Zudem sollen ab dem Jahr 2024 alle neu installieren Heizungsanlagen zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Hausbesitzer*innen sollen verstärkt über 20 Jahre alte (Gas-) Heizungen austauschen, eine „große Wärmepumpen-Offensive“ ist geplant. Besonders der ältere, unsanierte Gebäudebestand soll bevorzugt adressiert werden. Um Mieter*innen zu schützen, wird schließlich beabsichtigt, Eigentümer*innen von besonders ineffizienten Mietobjekten verstärkt in die Pflicht zu nehmen.


Eine bewährte und hoch wirksame kommunale Herangehensweise

Die Kampagne folgt einem standardisierten Ablauf. Jeder Arbeitsschritt von der Organisationsphase über die Durchführung bis einschließlich der Evaluation basiert auf vorgefertigten für die jeweilige Kommune anpassbare Arbeitsmaterialien. Die Kooperationspartner fesa e.V. und Klima-Bündnis leisten den nötigen Know-How-Transfer und begleiten die Städte und Gemeinden bei jedem Arbeitsschritt. Dadurch ist ein Kompetenzaufbau für die jeweilige Kommunen sichergestellt: Sie werden zu einer selbstständigen Durchführung in Zukunft in weiteren Quartieren befähigt. Die Erfolge sind durch Evaluation belegt: Inzwischen haben über 100 Städte und Gemeinden jeder Größe die Kampagne teils mehrfach durchgeführt. Von der Zielgruppe auf Quartiersebene nehmen mindestens 25% der Hausbesitzer*innen das Beratungsangebot an. Im Nachgang kommt es an 60% der Gebäude zur Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen, von niedriginvestiven Maßnahmen bis zu umfangreichen Gebäudesanierungen inklusive der Erzeugung von erneuerbarer Wärme sowie Strom. Auf Quartiersebene wird dadurch eine Steigerung der energetischen Sanierungsrate auf bis zu 15% erreicht. Dieser Impuls gelingt, da es nur durch das Vorgehen der Energiekarawane möglich ist, den weitaus größeren, passiven Teil der Zielgruppe zu erreichen. Speziell der Baden-Württembergische Hintergrund mit dem dort geltenden Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWärmeG) hat gezeigt, dass es Kommunen mittels der Energiekarawane möglich ist, Hausbesitzer*innen eine wichtige Orientierungsleistung in einem komplexen Handlungsfeld zu bieten. Eine qualifizierte Initialberatung vor Ort ist das adäquate Mittel, um eine sinnvolle und vor allem nachhaltige Einbindung Erneuerbarer Energien bei der gebäudeindividuellen Wärmeerzeugung zu gewährleisten.

Die Energiekarawane ist gefragt

Initiiert durch die Kooperationspartner fesa e.V. und Klima-Bündnis e.V., wurden im Jahr 2021 in zehn Kommunen jeder Größenordnung elf Energiekarawanen mit insgesamt 1.029 Energieberatungen durchgeführt – aufgrund von COVID-19 teilweise unter sehr erschwerten Bedingungen. Im Jahr 2022 sind 21 Energiekarawanen bundesweit in Gemeinden sowohl mit weniger als 8.000 Einwohnern als auch in einigen Großstädten zur Umsetzung geplant, darunter sind etliche Kommunen, die die Kampagne bereits verstetigt haben. Darüber hinaus plant das Klima-Bündnis Luxemburg ein Pilotprojekt für dieses Jahr. Aktuell stehen die Kooperationspartner mit mehr als 20 Kommunen bundesweit zur potenziellen Durchführung in 2023 im Kontakt, ein Schwerpunkt sind Kommunen in NRW. Einige Städte und Gemeinden sind zurzeit dabei, die Energiekarawane in ihre Maßnahmenkataloge, seien es Klimaschutz- oder Quartierskonzepte (KFW432), für eine verstetigte Umsetzung aufzunehmen.

Über den klassischen Ansatz hinaus

Darüber hinaus kann die Energiekarawane als Kampagne auch angepasst werden, um einen erweiterten Personenkreis zu erreichen sowie weitere Themen effektiv zu transportieren. Eine reine PV-Kampagne ist ebenso möglich wie eine Kampagne zur Beförderung von Klimaanpassungsmaßnahmen im privaten Gebäudebestand, auch Wohnungseigentümergemeinschaften können erfolgreich angesprochen werden. Für Mieter*innen kann die Herangehensweise der Energiekarawane genutzt werden, um verstärkt Nutzungsverhaltens- und Stromsparberatungen zu platzieren. Speziell dieser Zielgruppe gilt es unbedingt verstärkt Hilfestellung zu geben, auch um der zunehmenden Energiearmut zu begegnen.

Fazit

Zusammengefasst eignet sich die Kampagne Energiekarawane für Kommunen jeder Größe, um für alle Bürger*innen einen entscheidenden Impuls für verstärktes Energiesparen zu geben. Die Energiekarawane steht für ein bewährtes, effektives und gleichzeitig flexibles Konzept, um einen Beitrag zu den kommunalen Klimaschutzaktivitäten zu leisten und das perspektivisch in ganz Europa. Gleichzeitig führen die nachweisbar resultierenden Energieeffizienzmaßnahmen und der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien zu einer Reduktion der Treibhausgas-Emissionen im privaten Gebäudebereich, einem zentralen Handlungsfeld im Klimaschutz.

Dieser Text stammt von Brice Mertz mertz@fesa.de (Projektleiter Energiekarawane fesa e.V.) und Jan Schwarz j.schwarz@klimabuendnis.org (Ansprechpartner Klima-Bündnis) und erschien in ähnlicher Form in den Umweltbriefen 06/2022.


INFOBOX

fesa e.V. und Klima-Bündnis e.V. – gemeinsam für konkreten Klimaschutz
Im Klima-Bündnis arbeiten fast 2.000 Mitgliedskommunen in mehr als 25 europäischen Staaten gemeinsam aktiv daran, den Klimawandel zu bekämpfen. Der fesa e.V. mit Sitz in Freiburg im Breisgau wurde 1993 von Bürger*innen mit dem Ziel der Energieautonomie für die Region gegründet. Seit 2017 ist der fesa Projektträger für die kommunale Kampagne Energiekarawane für die Region Baden. Seit 2018 kooperieren die beiden gemeinnützigen Klimaschutz-Vereine, um die Kampagne Energiekarawane potenziell allen europäischen Städten und Gemeinden zugänglich zu machen.


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